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Der Fön, Fahrbericht Porsche 911 2305

Published in radical-mag.com

Fahrbericht Porsche
911 Carrera/S

Noch nicht erstellt
Es ist ja immer gleich eine Glaubensfrage, wenn es um Neuerungen beim Porsche 911 geht. Immer, wenn Porsche an seiner Ikone rumschraubt wird alles gleich zum Sein oder Nichtsein. Das war damals so, als man um die Zylinder einen Wassermantel hüllte. Oder als man Spiegeleier als Lampen montierte. Nun ist es wieder so, auch wenn selbst wir zugeben müssen, dass der Schritt zu den Turbomotoren für Carrera und Carrera S sicher ein grosser ist. Ja, wir mochten und mögen die grossen Sauger im Elfer. Nein, wir leiben sie. Aber, alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Nun hat die Wurst zwei Turbolader. Und sie fährt sich dennoch - herausragend. Auf die Technik des neuen Elfers - der ja gar keiner ist, sondern ein umfassendes Facelift - sind wir ja schon vertieft eingegangen. Es soll hier also um das Fahrerlebnis gehen. Und ein Fahrerlebnis ist, zum grossen Teil auch ein Hörerlebnis. Denn ohne Motorensound ist der beste Sportwagen irgendwie - nix. Also, der Elfer mit Turboaufladung klingt: zurückhaltend. Also, eigentlich gar nicht. Null. Also so bis 4000 Umdrehungen zumindest. Da fehlt das Porsche-typische, mechanische Laufgeräusch welches Generationen von 911-Fahrern begeistert hat. Es ist einfach ein Turbomotor, wie viele andere auch. Das Boxer-typische Klangbild will sich nicht so recht einstellen. Enttäuschend. Aber, es gibt Abhilfe. Zum einen in Form der optionalen Sportabgasanlage. Die muss man bestellen. Und Porsche verdient einmal mehr nett mit. Und zum anderen? Einfach drehen das Teil. Denn ab 5000 Touren schreit der Dreiliter-Sechszylinder wie in guten alten Zeiten. Und er dreht. Er dreht unglaublich. Ohne mit der Wimper zu zucken hauts den Boxer in den Drehzahlbegrenzer bei etwas über 7500 Umdrehungen. Echt, wir haben diese Drehfreude nicht erwartet. Vor allem auch, wie der Motor im obersten Drehzahlbereich auf plötzliches Gasgeben reagiert - geil. Okay, wir sprechen hier vom Carerra S, aber auch der «schwache» Carerra macht das ganz ausgezeichnet.


Über die Fahrleistungen braucht man nicht zu diskutieren. 3,9 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h (natürlich mit dem optionalen Sport-Chrono-Paket und PDK-Doppelkupplungsgetriebe), das ist schon ein sehr strammer Wert für einen Carrera S. Ja, die 420 PS zusammen mit dem 500 Nm werden sehr effizient auf die Strasse übertragen, der Elfer der Baureihe 991 ist ein tolles Sportgerät. Auch mit Turbomotor. Und wenn an die Allradlenkung mit an Bord hat, ist der 991/II richtig scharf auf kurvigem Geläuf. Aber, es sind uns auch einige andere Dinge aufgefallen. Zum Beispiel, wenn man zu den Ewiggestrigen gehört, und den Porsche mit Handschaltung bestellt. Das Getriebe mit sieben Gängen ist wunderbar zu bedienen, auch wenn den 7. ja eigentlich niemand braucht. Aber man merkt auch, dass er nach dem Gangwechsel eine kleine, elektronisch verordnete Zwangspause auferlegt bekommt. Wer nur so Rumcruist merkt sofort, dass der Wagen nach dem Hochschalten erst etwas zuwartet, bis er die Turbinen den vollen Ladedruck aufbauen lässt.




Offenbar will Porsche so die Kupplung etwas schonen. Auch dagegen gibt es ein probates Mittel: hochdrehen den Dreiliter, dann ist auch dieses Phänomen weg. Perfekt ist auch die Zwischengasfunktion beim Runterschalten. Im Sport- oder Sport+-Modus gibt der Elfer selbstständig die genau richtige Portion Zwischengas, damit keine üblen Schleppmomente entstehen. So kann sich auch die Handarbeitslehrerin fühlen wie Neel Jani bei der Zeitenjagd auf der Rennstrecke. Ach ja, diese Unterschiedlichen Modi aktiviert man jetzt über einen kleinen Drehsteller am Lenkrad. Das Ding sieht rangebastelt aus, macht das Lenkrad optisch überladen und macht schlicht keinen Sinn. Aber die Konkurrenz hat solch Zeugs halt aus... Wer übrigens den Knopf in der Mitte Drückt erhält kurzzeitig das volle Sport+-Programm. Nett, aber ein Fahrer weiss meist ganz genau, in welchem Modus er unterwegs sein will und wird kaum vor dem Überholen noch diesen Button drücken. Der Spieltrieb hat leider auch Zuffenhausen erreicht.

Uns sonst? Sonst müssen wir uns ein paar grundsätzliche Gedanken machen. Zum Beispiel, ob der 911 noch erstrebenswert ist. Im Grunde müssen wir diese Frage mit Ja beantworten. Denn das Ding ist echt sauschnell, nahe an der Perfektion. Man kann richtig, richtig viel Spass haben mit dem Elfer Carrera S, auch wenn er nun einen Turbomotor hat. Aber, das Teil gleicht sich immer mehr der Konkurrenz an. Einfach zu bewegen, eine Unzahl von elektronischen Helferlein, ein Infotainmentsystem mit dessen Rechenleistung man locker zum Mond fliegen könnte. Aber, unter uns - wer will schon zum Mond. Mir kommt der Elfer so ein bisschen vor wie die aktuellen Formel-1-Piloten. Alle sind sie sauschnell, aber alle sind sie durch die Marketingmühle glattgeschliffene Allerweltstypen. Keine Charakterköpfe mehr. Klar sind die Fahrleistungen böse, das Fahrverhalten aber brav. Man gibt sich in Zuffenhausen allergrösste Mühe dass man nicht mehr merkt, dass de Elfer einen Heckmotor hat. Doch genau das ist doch das grossen Unterscheidungsmerkmal.
Wenn ein Porsche sich fährt wie ein BMW oder ein Audi, wieso zum Teufel soll ich mir einen Porsche kaufen? Muss heute wirklich alles gleich gemacht werden, nur weil die Konkurrenz das so vorgibt? Wieso hat man in Zuffenhausen nicht den Mut, wieder echte Fahrmaschinen zu bauen? Den Cayman GT4 nehmen wir da mal aus… Wieso keine Autos, bei denen der Fahrer noch gefordert wird. Die auf der Nordschleife vielleicht ein paar Sekunden langsamer sind als ein ebenbürtiger Konkurrent, aus denen man aber nach der Runde mit nassgeschwitztem Rücken aussteigt und in sich selber reinschreit: i did it!!! Wir mögen Porsche sehr, aber die Gründe einen 911 zu kaufen, werden immer weniger. Denn wir Ewiggestrigen mögen keinen Perfektionismus. Vielleicht sollte man all den Controllern und Strategieexperten bei Porsche wieder mal einen Tag auf der Rennstrecke gönnen, mit den Fahrzeugen aus dem Museum. Damit sie wieder sehen, woher man kommt. Und was die Faszination Porsche ausmacht.

Mehr Porsche gibts im Archiv.