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Supertest 2013 (3)-1355

Published in radical-mag.com

Noch nicht erstellt

In Europa dagegen, wo sich den Fahrzeugen manchmal auch Kurven in den Weg stellen, würde sich der Pilot aber wohl mehr freuen, wenn der Flying Spur nicht derart gnadenlos über die Vorderräder wegschieben würde. Und die Lenkung auch so etwas wie Zielgenauigkeit ermöglichen könnte, nicht bloss eine ungefähre Richtungsangabe. Und die Bremsen, hmm, wie sagt es Karl Wendlinger so schön: «Er verzögert natürlich schon, aber es ist ein komisches Gefühl.». Verbrauch nach Werk: 14,9 Liter. Bisher waren es 17.

Innen, ja, innen, da ist natürlich schon grossartig, feinst, edelst, da weist der Flying Spur den Benz dann massivst in die Schranken. Das können die Engländer halt einfach, es ist eine wunderbare Mischung zwischen Club-Atmosphäre und handwerklichen Fähigkeiten, die Nähte am Leder schöner, das Holz mit mehr Inbrunst poliert und vorab schon mit viel mehr Liebe ausgesucht, überhaupt viele Details sehr liebevoll. Die Sitze sind nicht gut, wenn man sie aus automobiler Sicht betrachtet, kaum Seitenhalt, aber man will gerne vorne wie hinten einfach verweilen und eine Zigarre schmauchen und barfuss über die Wolle der schottischen Pulloverschweine streichen (während der Chauffeur sich nach dem Weg erkundigt).

Nein, der Flying Spur ist kein gelungenes Werk. Wir brechen auch nicht in Ehrfurcht darnieder, nur weil Bentley draufsteht. Wenn die Oberklassen-Limousinen als Segment schon nicht mehr wirklich zeitgemäss erscheinen, dann ist der Flying Spur aber so richtig von vorgestern, in quasi jeder Beziehung. Man mag das Traditionsbewusstsein nennen, manche sprechen auch von Aristokratie. Wir meinen: game over. Es liegt in erster Linie daran, dass die edle VW-Tochter die Bedürfnisse der europäischen Kundschaft anscheinend nicht mehr gross kümmern: China über alles. Die Europäer und Amerikaner sollen den Mulsanne kaufen, der hat zwar nur 8 Zylinder, kostet aber deutlich mehr, soll auch deutlich fahraktiver sein, wie uns erzählt wurde. Es könnte diese Konzentration auf den chinesischen Markt aber zum Bumerang werden für Bentley. Wenn nämlich die Stammklientel der Marke aus der Alten Welt keine Flying Spurs mehr kaufen will, dann wird sich das in China schnell herumsprechen. Im Reich der Mitte schaffen sich die neureichen Bentley-Kunden nämlich nicht in erster Linie ein Automobil an, sondern: Image. Und ein gutes Image erarbeitet sich auch ein Bentley nur auf dem härtesten Auto-Markt der Welt, jenem in Europa.

Mehr Bentley gibt es im Archiv. Mehr Supertest gibt es: hier.


Das liegt daran, dass der Bentley, der ja eigentlich ein VW Phaeton ist, nicht über die modernsten Möglichkeiten der Elektronik verfügt. Man merkt das auch daran, dass der Engländer eigentlich quasi null Assi-Systeme hat, keinen Spurhalter und keinen Spurwechselwarner und keinen elektronischen Einparkierer und auch keinen adaptiven Tempomaten. Einverstanden, das braucht eh niemand, wir empfinden solche Retro-Technik sogar als wohltuend, doch der durchschnittliche Kunde erwartet dieses Zeugs, er hat davon gelesen, gehört, es gehört ja schliesslich schon in der Kompaktklasse einfach dazu. Dass der Flying Spur das alles nicht kann und nicht hat, das muss man als Armutszeugnis bezeichnen für ein Automobil, das weit über 250'000 Franken kostet, für einen Konzern, der doch sonst alles kann und hat. Sollen wir jetzt auch noch etwas schreiben vom Navi? Es ist so langsam, dass schon ein Update verfügbar ist, bis es sein Ziel gefunden hat. Doch der Schofför kann ja des Weges fragen.
Bentley Flying Spur
Bentley Flying Spur
Bentley Flying Spur
Bentley Flying Spur
Doch die Chinesen wird das nicht weiter kümmern: Sie kennen ja den neuen Golf nicht, der wird erst in einigen Jahren ins Reich der Mitte kommen. Der Europäer aber, der wundert sich. Auch darüber, dass der Flying Spur in anderen Disziplinen ebenfalls nicht wirklich überzeugen kann. Zum Beispiel: der Abroll-Komfort. Zwar rollt der Bentley serienmässig auf 19-Zöllern, unser Proband hatte die 20-Zöller montiert, bereits mehr Felge als Pneu – und gab Fahrbahnunebenheiten quasi ungefiltert an die Passagiere weiter. Auch die Abrollgeräusche waren mit diesen Reifen viel zu laut, jede Querrille war im Innenraum hörbar. Ob es mit den kleineren Gummis besser ist (es gibt gegen Aufpreis allerdings auch noch 21-Zöller …), das können wir nicht beurteilen. Was wir aber nach einer Vergleichsfahrt beurteilen können: die neue S-Klasse von Mercedes macht das nicht einfach besser, sondern viel besser. Der Kampf von «das Beste oder nichts» gegen die «beste Luxuslimousine der Welt» geht in diesem Punkt klar an den Benz.

Stolz verweist man bei Bentley darauf, dass das Leergewicht um 50 Kilo gesenkt werden konnte, es liegt jetzt noch bei 2475 Kilo; ein toller Fortschritt, eine Verbesserung um rund 2 Prozent. Dieses massive Gewicht ist es dann auch, das dem Bentley ein weiteres Problem beschert: die Fahrfreude ist mässig. Beim Start von der Ampel kommt das Trumm erst nach einer Gedenksekunde in die Gänge: versucht man es mit einem sanften Gasfuss, dann fahren einem die Dacia um die Ohren, drückt man das Fahrpedal etwas heftiger, schiesst der Bentley ziemlich unelegant nach vorn. Die goldene Mitte haben wir auch nach mehreren Versuchen nicht gefunden. Und auch beim Lenken wussten wir eigentlich nie so recht, woran wir waren: das Ding ist leichtgängig wie Butter an der Sonne, ein Gefühl dafür lässt sich nicht entwickeln.

Wenn er dann mal rollt, dann macht er das fein – und gemäss Werksangaben bis hin zu einer Höchstgeschwindigkeit von 322 km/h. Solches beeindruckt die Chinesen sicher.Bentley Flying Spur
Seit seiner Einführung im Jahr 2005 war der Bentley Continental Flying Spur das meistverkaufte Modell der Engländer auf dem chinesischen Markt, weit über 10'000 Stück, mehr als 60 Prozent der gesamten Produktion, wurden in den vergangenen acht Jahren ins Reich der Mitte verkauft.

Jetzt hat Bentley das «chinesische» Erfolgsmodell überarbeitet, 600 Teile seien neu, heisst es, das Design wurde von Luc Donckerwolke gestrafft, 50 Kilo leichter ist der Aufgefrischte und satte 625 PS stark (bisher mussten schwächliche 575 PS ausreichen). Der Automat schaltet jetzt über 8 Gänge, nicht mehr bloss mit deren 6. Beim neuen Fahrzeug wurde die Bezeichnung Continental aus dem Namen gestrichen, damit soll gezeigt werden, dass der Flying Spur jetzt eigenständiger ist, nicht einfach ein beim Radstand um 32 Zentimeter gestreckter Conti.

Aber Klartext: Auch der neue Bentley Flying Spur ist weiterhin und eigentlich ein VW Phaeton. Die Basis ist VW, der W12-Motor ist VW, auch der Allradantrieb kommt von VW. Selbstverständlich haben die Engländer alles gemacht, damit man der ihrer Ansicht nach «besten Luxuslimousine der Welt» nicht anmerkt, dass sie eigentlich ein Volkswagen ist. Optisch ist das auch nicht sichtbar, der Bentley hat die typischen Insignien der englischen Edel-Marke, ist mit knapp 5,3 Meter Länge riesig – und deutlich eleganter als der Vorgänger. Trotzdem plappern böse Zungen - wir? - gern etwas von, wir schreiben es hier ganz leise: Superb...

Doch ein paar neue Linien, ein deutlich harmonischeres Heck und grössere Lampen vorne reichen nicht aus, um aus dem Flying Spur ein wirklich modernes Fahrzeug zu machen. Das merkt man aber vor allem an einem Ort, dem Infotainment- und Navigationssystem, und dort kann sich der neue Bentley keinerlei Lorbeeren abholen. Denn während der neue VW Golf mit einem wirklich cleveren, intuitiv bedienbaren System zu überzeugen weiss, sind beim Bentley die Bildschirme (einer vorn, zwei hinten) zwar grösser, doch Hard- und vor allem Software sind noch auf dem Niveau des Golf-Vorgängers, darüber kann auch eine Fernbedienung nicht hinwegtäuschen.Bentley Flying Spur
Bentley Flying Spur
Noch nicht erstelltBentley Flying Spur

Original: radical

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