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Hoffnungsträger im Tarnkleid: Dieser Big Mac zum Schnäppchen-Preis soll VW in Amerika retten

Published in motosound.de

Zu klein, zu teuer und an den Bedürfnissen vorbei produziert – so richtig getroffen hat VW den Geschmack der US-Kundschaft bislang nicht. Schon ohne Dieselgate war Amerika deshalb für die Niedersachsen zuletzt die größte Baustelle. Und seitdem die Abgas-Manipulationen aufgeflogen sind, hat sich die Situation noch einmal dramatisch zugespitzt. Doch so langsam hat der neue US-Chef Hinrich Woebcken wieder gut lachen. Denn er steht nicht nur unmittelbar vor einer juristischen Einigung mit den Händlern, den Kunden und den Behörden.  Sondern vor allem steht er kurz vor dem Launch des wahrscheinlich wichtigsten VW-Modells der letzten Jahre: Ende Oktober zieht er das Tuch von einem neuen Geländewagen, mit dem VW endlich im riesigen Segment der Midsize-SUV Fuß fassen will. Zum ersten Mal konkret nach den Vorgaben aus Amerika entwickelt und gemeinsam mit dem Passat im US-Werk Chattanooga gebaut, soll die noch namenlose Familienkutsche mit dem Format des Touareg, dem Platzangebot des Buli und einem Preis knapp über dem Tiguan die Mütter der Mittelschicht ködern, die der Marke spätestens nach dem zweiten Kind bislang den Rücken kehren mussten. Weil VW in Amerika endlich mal wieder gute Schlagzeilen braucht und weil sich die Niedersachsen als Neueinsteiger in dieser Klasse gegen Dauerbrenner wie den Ford Explorer, den Chevrolet Traverse oder den Honda Pilot erst positionieren müssen, will Woebcken aber nicht bis zur Weltpremiere warten, sondern bittet schon jetzt zur ersten Ausfahrt.

Dass die Prototypen dabei noch stark getarnt sind, macht in diesem Fall rein gar nichts. Denn erstens kann man sich das Design nach einem gefühlten Dutzend CrossBlue-Studien hinreichend vorstellen, selbst wenn Woebcken dem Serienauto noch mehr Charakter und eine bulligere Front zuschreibt. Und zweitens geht es beim Projekt VW 416 ohnehin mehr um den Innenraum. Schließlich ist er diesseits von Caddy & Co der erste Siebensitzer im VW-Programm. Dafür haben die Niedersachsen die Plattform des Modularen Querbaukastens bis an ihrer Grenzen gestreckt und so einen wahren Riesen auf die Räder gestellt: Mit 5,04 Metern ist das B-SUV noch ein gutes Stück größer als der Touareg, die Achsen stehen knapp drei Meter auseinander und schon ohne Spiegel misst er in der Breite volle zwei Meter.

Der Vorteil dieses Formats ist ein Platzangebot, wie es das in einem Pkw von VW bislang noch nicht gegeben hat: Vorn sitzt man so gut wie in Touareg oder Passat, wenn die verschiebbare zweite Reihe um etwa 20 Zentimeter nach hinten gleitet, kann man auch im Fond die Beine übereinander schlagen, und selbst die dritte Reihe bieten mehr als nur zwei notdürftige Sitzgelegenheiten. Die beiden Klappsessel sind dank der riesigen Türausschnitte und dem mit einer Hand bedienbaren Mechanismus der vorderen Sitze nicht nur ungewöhnlich gut erreichbar, sondern taugen tatsächlich auch für Erwachsene.

Aber der neue Zuschnitt hat auch einen gravierenden Nachteil – zumindest für uns Europäer: Das Auto wird so groß, dass es in den Augen der Niedersachen die heimischen Straßen sprengen würde. Während sich zum Beispiel die Russen oder die Kunden in den Golf-Staaten auf eine Export-Variante freuen dürfen und in China auf der gleichen Basis mit etwas mehr Bling-Bling sogar ein eigenes Modell aufgelegt wird, schauen wir deshalb in die Röhre und müssen uns mit der für 2017 versprochenen Langversion des Tiguan begnügen. Allerdings darf man an dieser Begründung getrost seine Zweifel hegen. Viel eher könnte die Entscheidung auch daran liegen, dass ein Touareg zum Tiguan-Preis das europäische Gefüge der Modelle und Marken ein bisschen zu sehr ins Wanken bringen würde und zum Beispiel er neue Skoda Kodiaq plötzlich einen harten Konkurrenten aus den eigenen Reihen hätte.

Anders als der mittlerweile arg eingestaubte US-Passat müsste sein großer Bruder den Vergleich mit europäischen Modellen dabei allerdings nicht scheuen. Zwar hat VW auch hier aufs Geld geschaut und dem Kampfpreis bei den Einstiegsmodellen viel Komfortausstattung geopfert. Doch in den gehobenen Varianten gibt es in der Mittelkonsole den großen Touchscreen aus dem Tiguan und hinter dem Lenkrad das frei programmierbare Kombiinstrument aus dem europäischen Passat. Außerdem sammelt der Big-Mac aus dem Werk in Chattanooga mit Car-Net alle gängigen Smartphones ein und fährt mit automatischer Abstandsregelung, Notbremsassistent oder Einparkroboter auch bei den Assistenzsystemen nicht mehr hinterher.

Dürftig ist nur die Auswahl der Motoren. Denn zumindest zum Start gibt es den Wagen lediglich mit einem 238 PS starken 2-Liter-Turbo oder dem betagten 3,6-Liter-V6-Sauger, der auf 280 PS kommt und bei maximal 360 Nm und einer betont soften Achtgang-Automatik zum soliden Highway-Cruiser wird. Obwohl der Wagen wohl eher durch die Suburbs kreuzen wird, hat VW ihn auch für Matsch und Modder ausgelegt, bietet ihn zumindest optional auch mit Allrad an und nutzt dann auch die vom Tiguan bekannten Fahrprofile. Schließlich wollen auch die Soccer-Mums mal zum Barbecue oder zu den Boyscouts.

Zwar kommt das Projekt 416 genau zur richtigen Zeit. Denn so wichtig, wie das Auto für den US-Markt ist, wird es den Abgasskandal erst einmal aus den Nachrichten verdrängen und die Marke VW im Aufbruch inszenieren. Doch wenn man die unzähligen Studien mit einbezieht, wird an dem Auto wahrscheinlich schon mehr als vier Jahre gearbeitet und als die Diesel-Bombe platzte, war bei diesem Modell eigentlich schon alles in Trockenen Tüchern. Nur zwei Details haben sich seit dem Anfang der Affäre noch geändert: Als Bekenntnis zu Amerika bekommt der Geländewagen auch einen amerikanischen Namen. Und den ursprünglich mal geplanten TDI-Motor hält Woebcken mittlerweile für denkbar unwahrscheinlich.