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Leberwurst zum Frühstück

Published in fünfkommasechs.de

Schändlich vernachlässigt habe ich sie, meine Luxus-Yacht in dem überaus eleganten Farbton „bornit-metallic“. Mag der tumber Simpel in seiner metallic-blauen Allerweltslimousine abwertend – nein unwissend – von „leberwurst-metallic“ sprechen, so verfällt der wahre Connaisseur einem emotional-visuell ausgelösten multiplen Orgasmus, wenn die zeitlose Coupe-Silhouette sich farbgewaltig und nachhaltig in sein Blickfeld schiebt.

Vorgestern habe ich dann seit Weihnachten vergangenen Jahres endlich wieder die Zeit gefunden, mich dem Meilenstein zu widmen, kurzfristig sogar dem Wahnsinn verfallen, dem Wagen eine andere Außenfarbe ob der unablässigen Anfeindungen und perfiden Intrigen manch windiger Zeitgenossen zu geben.


Licht am Ende des Kardantunnels – das ausgeweidete Luxus-Coupe lässt sich ungeniert unters Blechkleid gucken

Natürlich stellt sich immer wieder die Frage nach dem Sinn einer solch aufwendigen Instandsetzung, speziell bei einem Fahrzeug, welches nach wie vor in ausreichender Anzahl in gutem bis sehr gutem Zustand am Markt zu erstehen ist. Und warum eigentlich ein 500SEC und nicht direkt das Topmodell 560SEC, seinerzeit eines – wenn nicht sogar DAS – teuerste Serienfahrzeug in deutschen Landen? Die Kombination des überaus luxuriösen Innenraumes im Zusammenspiel mit der sehr lang übersetzen Hinterachse des 5-Liter-Modells lassen dessen absolut ausreichende Kraftreserven mehr als spielend gelassen daher kommen und der Wagen eignet sich dank niedrigstem Drehzahlniveau in der Baureihe W126 hervorragend für die nerven-schonende Wochenendfahrt zum eigenen Chalet.

Es liegt nicht im Charakter des SEC, stets der Schnellste zu sein, aber er ist stets der Erste, der Erste unter den Besten.

Anders als bei den Limousinen der Baureihe weht hier nicht der Spitzenpolitiker- und Vorstandsvorsitzendencharme durch den mit feinstem Leder und edlem Wurzelnussholz ausgekleideten Innenraum, es ist eher die Leichtigkeit eines romantischen Sommerabends an der Cote d´Azur; zurückhaltend und doch stets präsent fährt man vor. Der SEC hat es nicht nötig, durch trompeten-artiges Auspuffgebahren ähnlich dem manch aufbäumendem Pferdchens, aufgeklebt auf den zumeist in Rot gehaltenen Eisdielenschrecken mit serienmäßiger Tönungskur und optionalem Brusthaartoupet im Handschuhfach, auf sich aufmerksam zu machen, nein, er liebt eher den stilvollen und doch gewichtigen Auftritt.

In ihm fährt die Gattin des Vorstandsvorsitzenden vor, mit ihm gleitet und genießt der Privatier; ähnlich Vorgenanntem hat es das W126-Coupe nicht nötig, zur Deckung seiner materiellen Bedürfnisse arbeiten zu müssen. Wer einmal dem Rausch SEC verfallen ist, der wird der Diva jeden Wunsch von den (Dicht-)Lippen ablesen.

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Hier sitzen Sie richtig – der Innenraum des Coupes nach Ausbau der vorderen Sitze, beidseitig elektrische Memoryverstellung inklusive orthopädischer Funktionen. Hier darf man auch mal sitzen bleiben und kommt doch weiter.

Fern der stark befahrenen Autobahnen zeigt das Coupe seine zarte Seite, umschmeichelt von den handschuhweichen Ledersitzen, akustisch verwöhnt vom Soundsystem streichelt der Fahrer das in feinstem Leder gehaltene Lenkrad bei jeder Richtungsänderung, der Wählhebel gleitet sicher durch die Zickzack-Kulisse und liegt stets gut zur Hand, das Wurzelnussholz und der feine Teppichausschlag des Innenraumes laden zum Verweilen ein. Der Blick über die (federleichte) Aluminiummotorhaube lässt nur eines zu, das Gefühl, mit diesem Wagen alles richtig gemacht zu haben.

Bis diese imaginäre Ausfahrt jedoch Wirklichkeit wird, liegt noch ein wenig Arbeit vor mir. In wenigen Tagen bin ich soweit, dass die Schweißarbeiten beginnen können. Nachdem diese erfolgt sind, kann sich der Lackierer um den Farbauftrag im Originalton kümmern. Die Technik verlangt darüber hinaus ebenfalls nach einer Überholung, nicht jedoch wegen hoher Laufleistung sondern vielmehr wegen oftmals zu langer Standzeiten und falscher Lagerung des Wagens.

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Bremst derzeit weder den Wagen noch den Vorwärtsdrang meiner Arbeiten – die marode Bremsanlage bedarf einer kompletten Überholung.

Die Liebe zum Detail, die enorme Wertigkeit der verwendeten Materialien und die durchdachte Konstruktion des Wagens offenbart sich trotz starkem Rostbefall immer intensiver, je weiter man in sein Innerstes vordringt. Ich bin mir sicher, dass das angesprochene springende Pferdchen in solchen Momenten schnell zum stoischen Esel wird. Das Stuttgarter Flaggschiff lässt einen hier nicht im Regen stehen, die Teileversorgung ist stets vorbildlich, so, wie man es gewohnt ist.

Eines ist jedoch anders als sonst: nimmt man hinter dem Steuer des Coupes platz, so verwundert es zunächst, dass einem das wichtigste Bauteil an einem Mercedes-Benz nicht fehlt – der Stern. Man weiß aber, er ist da. Vorne.

Das Beste oder nichts.

Original: Fünfkommasechs.de | Aktuelles

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